Coded Objects
Im Rahmen des hochkompetitiven Lise-Meitner-Exzellenzprogramms der Max- Planck-Gesellschaft (2023–2028) wird die Gruppe das Programmieren von Objekten mittels Gestaltung untersuchen, wobei der Fokus auf proto- algorithmischem Denken als materielle und räumliche Praxis liegen wird. Geleitet wird „Coded Objects“ von der Architektin und Architekturhistorikerin Anna-Maria Meister, Professorin für Architekturtheorie am KIT Karlsruhe und Co-Direktorin des saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau. Die Auftaktveranstaltung findet am 24. Januar 2024 in Florenz sowie online statt.
Die Lise-Meitner-Gruppe „Coded Objects“
In einer Zeit, in der die Gestaltung und Verbreitung von Informationen zu einer dominanten Triebkraft der Weltpolitik und -wirtschaft geworden ist, bleiben die formalen und materiellen Implikationen von „Codes“ oft unbemerkt oder ungeprüft – ebenso wie gleichzeitig ablaufende Verschiebungen von Wirkungsmöglichkeiten und Versuche, die Gesellschaft durch räumliche und formale Maßnahmen zu programmieren. Die Forschungsgruppe wird daher den Raum des Codierens nicht als abstrakte Technologie oder entfernte Aktivität betrachten, sondern vielmehr als das Programmieren von Objekten mittels Gestaltung. Was würde es bedeuten, codierte Objekte nicht als gegebenen Denominator zu betrachten, sondern als eine methodologische Untersuchung von formgebenden Operationen und der Materie der Gestaltung? Mit der Form als epistemischem Ausgangspunkt untersucht die multidisziplinäre Forschungsgruppe die Rolle materieller Formen in automatisierten Prozessen. Kurzum wird sich dieses Projekt auf proto-algorithmisches Denken als materielle und räumliche Praxis konzentrieren.
Das Einsetzen von codierten Objekten als zentrales Objektiv der Refraktion wird jede vorbereitete Dichotomie von Gestaltung und Bürokratie in Frage stellen – ebenso wie jegliche Annahmen von
„neutraler“ Technologie. Die Untersuchung der Form von Prozessen und der Objekte, die diese hervorbringen – die Verortung von Gestaltung bewegt sich innerhalb von als automatisiert gedachten Systemen –, verspricht, unbequeme Reibungen und produktive Affinitäten zu enthüllen, die für die Wirkkraft dieser Forschung auf die Gegenwart nötig ist. Die Materie von Prozessen ist hier also von großer Bedeutung. Das Formgeben von Dingen wird oft durch Rhetorik technologischer „Neutralität“ verschleiert, doch angesichts der globalen Zirkulation von Bildern und Objekten und der eingebetteten Informationsgestaltung harren formgebende Operationen und die Materie des Gestaltens einer genaueren Betrachtung. Das Projekt wird Diskurse über Verantwortlichkeiten, Bestrebungen und Techniken der Wertegestaltung mit ästhetischen Mitteln herausarbeiten. Was hier codiert wird, sind schließlich nicht nur Objekte oder Aufgaben—sondern Subjekte.
Indem die codierten Objekte, die uns umgeben, als ein Corpus menschlicher, materieller und ästhetischer Negoziierungen betrachtet werden, möchte die Gruppe den Fokus auf die Bedeutung formaler Intentionen (und Konsequenzen) in vorgeschriebenen Prozessen und Programmen lenken. Zugleich werden die Erstellung von Objekten und die Formgebung als lokal und kulturell hochspezifische Praktiken betrachtet, sei es das bewusste Formen durch Experten oder intelligente Lösungen für von Gemeinschaften entwickelte materielle Prozesse. Aufbauend auf der kritischen Arbeit rund um „Präzision“, „Objektivität“ oder „technologische Effizienz“, insbesondere deren Hinterfragung durch feministische und queere Methoden, wird die Gruppe Praktiken untersuchen, die von Formgebern gemeinsam mit Bürokraten entwickelt wurden, um Form zu erschaffen (sowohl historisch als auch zeitgenössisch). Techniken des Erstellens dienen dabei nicht nur als stilles Wissen, sondern auch als Kompetenzapparat und Werkzeuge im Umgang mit (stets bereits) codierten Objekten.
Die Gruppe beinhaltet Doktoranden- und Postdoc-Stellen, kollaborative und individuelle Forschungsprojekte sowie wissenschaftliche Gäste. Sie zielt auf ein breites Spektrum wissenschaftlicher wie öffentlicher Ergebnisse ab und baut auf die folgenden drei Forschungsmodi auf: rigorose, tiefgehende Archivarbeit zur Aufdeckung und Auswertung von Fallstudien; intensiver interdisziplinärer Austausch mit Blick auf eine gemeinsame Terminologie und Methodik; und schließlich eine starke Fokussierung auf das Gestalten als eine Form des Wissens, d.h. auf die greifbaren, materiellen und formalen Fertigkeiten und sensorischen Erfahrungen von Formgebern und ihrer Praktiken.
Anna-Maria Meister
Anna-Maria Meister ist Architektin und Architekturhistorikerin. Sie ist Leiterin der Lise-Meitner- Gruppe am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut (KHI) sowie Professorin für Architekturtheorie am KIT Karlsruhe, wo sie zugleich Co-Direktorin des saai-Archivs ist, das zu den umfassendsten und wichtigsten Architektursammlungen in Deutschland zählt. In ihrer Forschung, die zwischen Architektur- und Technikgeschichte angesiedelt ist, liegt der Fokus auf Prozessen der Gestaltung und der Gestaltung von Prozessen, insbesondere im Hinblick auf deren politische, soziale und ästhetische Konsequenzen. Sie promovierte an der Princeton University, absolvierte einen Master an der Columbia University sowie ein Diplom an der TU München und war zuvor Stipendiatin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Derzeit arbeitet sie an einem Buchmanuskript mit dem Titel Formatting Objects, Forming Values: The Paper Architectures of 20th Century Germany. Sie ist Mitherausgeberin einer Sonderausgabe des Journal of the History of Knowledge zum Thema Entangled Temporalities, welche Zeit als eingebettet in die Materie untersucht (2023), sowie des Sammelbandes Are You a Model? über das architektonische Modell als epistemologischen Prozess (2024). Zudem ist sie Co-Kuratorin des internationalen Forschungsprojekts „Radical Pedagogies“ und des gleichnamigen Buches (MIT Press, 2022).
Das Lise-Meitner-Exzellenzprogramm
Das Lise-Meitner-Exzellenzprogramm wurde von der Max-Planck-Gesellschaft initiiert, um außergewöhnlich qualifizierte Wissenschaftlerinnen zu gewinnen und gezielt zu fördern. Das Programm richtet sich an die zukünftigen Stars eines Forschungsgebietes – und dies in einer sehr frühen Phase ihrer wissenschaftlichen Karriere. Erfolgreiche Forscherinnen werden in den Pool der herausragend qualifizierten Kandidatinnen aufgenommen und haben anschließend die Chance, Direktorin an einem Max-Planck-Institut zu werden. Die Auswahl erfolgt mittels eines mehrstufigen, kompetitiven Auswahlverfahrens und in enger Rückkopplung mit interessierten Max-Planck- Instituten. Jede neue Forscherin im Lise-Meitner-Exzellenzprogramm erhält das Angebot, am Tenure- Track-Verfahren teilzunehmen, das – nach positiver Entscheidung der Tenure-Kommission – in einer dauerhaften W2-Stelle mit Gruppenausstattung resultiert. Die Max-Planck-Gesellschaft will damit herausragende Talente identifizieren und gezielt fördern und ihnen transparente und attraktive interne Karriereperspektiven bieten. Die Lise-Meitner-Gruppen werden für die gesamte Laufzeit von fünf Jahren mit eigenen Ressourcen ausgestattet.
Auftaktveranstaltung
Datum: 24. Januar 2024, 14:30 Uhr
Ort: Palazzo Grifoni Budini Gattai, Via dei Servi 51, 50122 Florenz, Italien
Link zur Online-Teilnahme: https://t1p.de/vhxmj
Bei der Auftaktveranstaltung wird Anna-Maria Meister zunächst anhand einiger Beispiele in den Forschungsansatz der Gruppe einführen. Anschließend findet ein Round-Table-Gespräch statt, gemeinsam mit den beiden KHI-Forschungsgruppenleiterinnen Hannah Baader und Hana Gründler, der Phototheksleiterin Costanza Caraffa und Gerhard Wolf, Direktor des KHI. Durch die Auseinandersetzung mit den beiden titelgebenden Begriffen – Code und Objekt – werden wir versuchen, Fragen zu eröffnen und zukünftige Anknüpfungspunkte zu begründen. Beispielsweise die Frage, was es mit der Unterscheidung zwischen codieren und codiert auf sich hat, wie Objekte nachträglich für den wissenschaftlichen Gebrauch codiert werden, wie man sie liest und entliest, oder auch, was ein „Objekt“ in verschiedenen Kontexten konstituiert und wie sich ihre Objekthaftigkeit verschiebt, destabilisiert oder materialisiert, sind erste Ansätze hin zu der größeren Frage, wie wir auf eine methodische Definition von coded objects als Arbeitsthese hinarbeiten können.
Mehr Informationen: https://t1p.de/launch-lise-meitner-group-coded-objects
Weitere Information
Gegründet 1897, ist das Kunsthistorische Institut in Florenz – Max-Planck-Institut seit 2002 ein Institut der Max-Planck-Gesellschaft. Seine Forschungen widmen sich Kunst- und Architekturgeschichten in transkultureller Perspektive mit einer breiten chronologischen und geographischen Spanne. Ein wichtiges Anliegen ist die Verbindung von historischer Forschung und kritischer Auseinandersetzung mit aktuellen Debatten und Herausforderungen wie Urbanisierung, Ökologie, Ästhetik, Heritage, Migration und Diversität, der Zukunft von Museen, Media und Material Cultures und dem digitalen Wandel, nebst weiteren. Das Institut sieht sich besonders der Förderung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verpflichtet, während seine renommierte Bibliothek und die Photothek der internationalen wissenschaftlichen Community offenstehen.
Die Max-Planck-Gesellschaft ist Deutschlands erfolgreichste Forschungsorganisation. Mit 31 Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträgern in den Reihen ihrer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler steht sie auf Augenhöhe mit den weltweit besten und angesehensten Forschungseinrichtungen. Mehr als 15.000 Veröffentlichungen pro Jahr in international renommierten Fachzeitschriften zeugen von der herausragenden Forschungsarbeit an Max-Planck- Instituten – und viele dieser Artikel gehören zu den meistzitierten Publikationen auf dem jeweiligen Fachgebiet. Die derzeit 84 Max-Planck-Institute und Einrichtungen betreiben Grundlagenforschung in den Natur-, Lebens-, Sozial- und Geisteswissenschaften im Dienst der Allgemeinheit. Max-Planck- Institute konzentrieren sich auf Forschungsfelder, die besonders innovativ sind oder die einen besonders hohen finanziellen oder zeitlichen Aufwand erfordern.