Mehr als ein Lernort: Schule als hybrides System

Untersuchung zur architektonisch-pädagogischen Gestaltung von Schulen als hybrides System – Öffnung für außerschulische Nutzergruppen

Mehr als Lernen und Lehren: Die Schule als hybrides System bietet Raum für unterschiedliche Nutzergruppen. (Foto: Mandana Sedighi, KIT)

 

Der demografische Wandel, zunehmende Migration, disruptive Technologien und innovative Lehr- und Lernformate erfordern Schulräume, die den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht werden. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Schule als hybrides System“ am Institut Entwerfen und Bautechnik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) entwickelt ein ganzheitliches Konzept für Schulbauten, die vielfältige Funktionen miteinander verbinden. Das Projekt wird von der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefördert.

„Die Pandemie hat den gesellschaftlichen Stellenwert von Schule sehr deutlich vor Augen geführt“, sagt Dr. Mandana Sedighi vom Fachgebiet Tragkonstruktionen am Institut Entwerfen und Bautechnik des KIT. „Einmal abgesehen von der aktuell notwendigen Einführung digitaler Lernplattformen, kommen viele Schulen mit ihrem Raumangebot, ihrer Raumstruktur und -gestaltung an ihre Grenzen“, so die Leiterin des Projekts „Schule als hybrides System – Systematische Untersuchung zur Entwicklung eines architektonisch-pädagogischen Konzepts für Schulen als hybrides System“, deren Untersuchung neue Perspektiven für Schulneubauten und -sanierungen eröffnet. Ein Großteil der Schulgebäude in Deutschland stammt aus dem 20., teils noch aus dem 19. Jahrhundert. „Architektonisch spiegeln sie die gesellschaftlichen Vorstellungen von Bildung und Erziehung ihrer Zeit. Heutigen Anforderungen werden sie häufig nicht gerecht“, sagt Sedighi. Das Forschungsprojekt nimmt die unterschiedliche Architektur von Schulen und verschiedene pädagogische Ansätze in den Blick und untersucht, inwieweit hybride architektonisch-pädagogische Konzepte Freiraum für neue Bildungserfahrungen schaffen und gesellschaftliche Teilhabe durch Integration und Inklusion fördern können.

Schule für verschiedene Nutzergruppen
„Schule als hybrides System, in dem sich unterschiedliche Funktionen verbinden, kann – über die Schüler- und Lehrerschaft hinaus – verschiedene Akteure einbeziehen und neue Bildungsnetzwerke und -erfahrungen schaffen. Hybride Schule ist ein Beitrag zur aktiven Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft“, sagt die Initiatorin des Projekts. So ließen sich im Schulgebäude Coworking-Spaces als Arbeitsräume beispielsweise für Start-ups einrichten. „Kinder könnten im Zuge einer solchen Kooperation aus erster Hand den Umgang mit digitalen Medien oder Programmiersprachen im beruflichen Umfeld erfahren“, sagt sie. Denkbar seien die Öffnung der Schulmensa für Start-up-Mitarbeitende und Eltern, Räume für Ausstellungen, für Freizeit- und Gesundheitsangebote und Fortbildungen im Sinne lebenslangen Lernens sowie Kooperationen mit Betrieben und Dienstleistern in der Nachbarschaft. „Auf diese Weise würde Schule ihren Bildungsauftrag erweitern“, so die Wissenschaftlerin. In Städten mit knappem Wohnraum ließe sich durch Aufstocken der Schulgebäude im Rahmen städtebaulicher Nachverdichtung zudem die Wohnkapazität erhöhen.

Bestandsschulen zukunftsfähig machen
Schulen brauchen flexible, variabel nutzbare Flächen für wechselnde Unterrichtsmethoden und Lernformate, die sich für Inklusion und Angebote der Ganztagsschule eignen, Platz für Team- und Einzelarbeit bieten, sowie digitale Lernplätze, Bewegungszonen, Ruhebereiche und Kantinen. Ein Ziel des Forschungsprojekts ist es daher, nach dem Vorbild eines Baukastensystems auf unterschiedliche Sanierungsprojekte übertragbare architektonische Module zu entwickeln, die je nach den lokalen Gegebenheiten und Anforderungen eingesetzt werden können. Bei der Sanierung und in dem Hybridisierungsprozess von Schulgebäuden rät Sedighi zu einem kreativen Umgang mit den vorhandenen Raumelementen. Die Klassenzimmer in Altbauten seien meist klein und auf Frontalunterricht ausgelegt, die Flure lang und schmal. Um ein solches Schulgebäude zukunftsfähig zu gestalten, ließen sich Wände ohne tragende Funktion entfernen, um größere, variable Räume zu erzeugen. Trennwände zwischen Klassenraum und Flur könnten durch Glaselemente ersetzt werden, um Tageslicht hineinzuführen, oder mit Nischen versehen werden, um individuelle Arbeitsecken zu schaffen. „Aus einem Flur kann eine Lernstraße werden, in den offenen Eingangsbereich der Schule können eine Bibliothek und gleichzeitig mobile Arbeitsplätze für die Eltern integriert werden“, so die Projektleiterin.

Das Mitte 2019 begonnene, bis Mai 2021 über 18 Monate laufende Projekt „Schule als hybrides System – Systematische Untersuchung zur Entwicklung eines architektonisch-pädagogischen Konzepts für Schulen als hybrides System“ mit einem Projektvolumen von rund 100 000 Euro wird durch die Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefördert. Forschungspartner des KIT ist die Humanwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln.

afr, 18.02.2021