Architektonische Feuerwehrromantik

Architekturkritik von Thomas Winkler
Feuerwache KarlsruheUlrich Coenen

Im Seminar „Städtebauliche Typologien - Werkstatt Architektur-Journalismus: Wir schreiben über Architektur“ beschäftigen sich Studentinnen und Studenten an der Professur Stadtquartiersplanung mit Architekturjournalismus. Dozent ist der Redakteur und Bauhistoriker Ulrich Coenen.

Die zwölf Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer recherchieren unter Anleitung und verfassen Beiträge über Architektur, Stadtplanung und Denkmalpflege. Dabei werden die journalistischen Darstellungsformen Interview, Architekturkritik, Bericht, Reportage, Kommentar und Fachbuchbesprechung geübt.

Hier ist die Architekturkritik zur Hauptfeuerwache von Thomas Winkler.

 

Die neue Hauptfeuerwache in Karlsruhe als ein eindrucksvoller Spagat zwischen Funktionalität und architektonischer Gestaltung

Von Thomas Winkler

Feuerwachen zeichnen sich durch weit mehr aus als Rutschstangen, große Garagen für Löschfahrzeuge und Trocknungstürme für Wasserschläuche. Die Berufsfeuerwehr ist das pulsierende Herz des städtischen Sicherheitsnetzes. Sie gewährleistet, dass in Notfällen innerhalb kürzester Zeit Hilfe vor Ort ist. Wie sich aus dem Namen zwar nicht ableiten lässt, ist die Feuerwehr neben der Brandbekämpfung und deren Prävention auch für Hilfe bei Unfällen und anderen Katastrophen sowie technischen Hilfeleistungen zuständig. Das Ganze pausenlos, 365 Tage im Jahr.

Um dies zu bewerkstelligen, arbeitet die Karlsruher Feuerwehr in einem Dreischichtmodell. Das bedeutet einen 24-stündigen Aufenthalt der Feuerwehrleute auf der Wache – stets in Alarmbereitschaft. Ertönt ein Signal, verlässt das Feuerwehrteam innerhalb 90 Sekunden das Grundstück.

Neben den normalen Tätigkeiten steuert die Hauptfeuerwache auch den Verwaltungsapparat über die zweite Karlsruher Feuerwache im Westen der Stadt, sowie die 16 Wachen der Freiwilligen Feuerwehr. Das sind in Summe ungefähr 1000 Beschäftigte.

An Architekten stellen die Anforderungen solcher Gebäude eine große Herausforderung. Das Architekturbüro harderstumpflschramm (H ||| S) hat sich dieser Herausforderung gestellt und sie beispielhaft gelöst.

Die wohl größte Herausforderung des Projekts wurde für H ||| S zur glücklichen Gelegenheit: Der Standort! Stadträumlich herausragend, für die hohen räumlichen Vorgaben an Feuerwehrfahrzeugstellplätze aber zu klein. Eine konventionelle Garagenlösung ist nicht möglich – etwas neues, innovatives muss her. Mit der Idee des französischen Hallen- und Durchfahrtsmodells konnte sich H ||| S im Architekturwettbewerb im Jahr 2010 unter 120 Bewerbern durchsetzen und den Zuschlag erhalten. Für H ||| S bislang die erste Feuerwehrwache.

Das französische Hallen- und Durchfahrtsmodell in Feuerwehrwachen ist ein architektonisch-logistisches Konzept, das im Falle der Feuerwache Ost in Karlsruhe das Konzept der Einsatzfahrzeug-Halle beschreibt. Das Modell wurde entwickelt, um die Effizienz und Reaktionszeit der Feuerwehr zu optimieren. In einer in eine Richtung befahrbaren Halle werden die Fahrzeuge so geparkt, dass sie im Einsatzfall direkt vorwärts ausparken können. Die Wegeführung wird so optimiert, dass Unfälle und Zeitverluste vermieden werden. Eben fast wie bei einer Boxengasse im Auto-Rennsport.

Doch nicht nur die technische Ausrüstung findet Platz im Gebäude. Um den Feuerwehrleuten einen angemessenen Aufenthalt zu ermöglichen, hat die Wache viele Facetten. Es gibt eine Werkstatt für die Fahrzeuge, einen Ausbildungsbereich, Büro- und Verwaltungsräume, Übungsbereiche, eine Sporthalle mit einem Fitnessraum und sogar einen offenen Fußballkäfig auf dem Dach. Zum Essen und gesellschaftlichen Zusammenleben gibt es einen großen Gemeinschaftsraum mit angrenzender Küche. Zur Ruhe gelangen die Brandbekämpfer in Schlafzimmern mit Klappbetten, die immer zu zweit belegt werden.

Mit der Wache zusammen bildet die integrierte Leitstelle ein Ensemble. Die Leitstelle nimmt Notrufe entgegen, koordiniert die Einsätze und bietet die Möglichkeit zur Besprechung in Notlagen. Im Schlauchturm können Einsätze mit Fassadenrettung geübt werden sowie die Wasserschläuche getrocknet werden.

Die unterschiedlichen Bereiche der Wache sind farblich voneinander abgegrenzt. Die Innenräume haben ein klares und funktionales Design, das sowohl die Orientierung erleichtert als auch zur psychologischen und physischen Entlastung der Feuerwehrleute beiträgt. Helle und neutrale Töne wie Weiß und Grau sorgen in den Gemeinschafts- und Ruhebereichen für eine beruhigende und erholsame Atmosphäre.

In den Einsatzbereichen und Fahrzeughallen kommen kräftigere Farben wie Rot, Orange und Grün zum Einsatz, die nicht nur die Sichtbarkeit und Sicherheit erhöhen, sondern auch die Dynamik und Energie dieser Räume betonen. Treppenhäuser und Sprungschachtanlagen, an deren Stangen im Notfall zügig heruntergerutscht werden kann, wirken so wie nutzbare Gegenstände innerhalb der Wache. So werden die verschiedenen Funktionsbereiche klar voneinander getrennt und die Orientierung innerhalb der Wache verbessert. Die verwendeten Farben und Materialien sind zudem so gewählt, dass sie den hohen Anforderungen an Hygiene und Pflegeleichtigkeit gerecht werden.

Das äußere Erscheinungsbild der Anlage setzt sich aus der Feuerwehrwache und der integrierten Leitstelle zusammen. Die Leitstelle und die Wache sind in einer perforierten Metallfassade ausgeführt. Diese lässt das Sonnenlicht grünlich schimmern und fungiert ebenfalls als schallschluckende Wand. Die Fassade des Hallengebäudes und des Schlauchturms ist in monolithischem Leichtbeton ausgeführt.

Für die besonders Natur- und Frischluftbegeisterten hat sich H ||| S noch etwas ganz Besonderes einfallen lassen: eine Dachlandschaft auf der Fahrzeughalle, die über den Gemeinschaftsraum betreten werden kann. Sitzt man auf einer der verstreuten Bänke der kleinen Landschaft, kann man nur noch über den Einsatzsignalton und die darauf aufheulenden Feuerwehrsirenen zurück in die Realität gebracht werden.

H ||| S zeigt mit der Hauptfeuerwache Karlsruhe, die im Übrigen 63,7 Millionen Euro gekostet hat und 2021 fertiggestellt wurde, eindrucksvoll, wie durch ein durchdachtes Konzept ein eigentlich funktionales Projekt in ein gemütliches Feuerwehrzuhause gewandelt werden kann, in dem sich die Feuerwehrleute von den physischen und psychischen Belastungen der Einsätze erholen können.

Das Zusammenspiel aus Überlegungen und Potentialen wurde laut Florian Schramm, Partner des Büros H ||| S, von der Öffentlichkeit honoriert und ist bei Nutzer- und Bauherrenschaft auf große Anerkennung gestoßen.

Das Projekt wurde in die Longlist des renommierten Preises des Deutschen Architekturmuseums aufgenommen und darüber hinaus mit der Hugo-Häring Auszeichnung des BDA ausgezeichnet.